Samstag, 14. Dezember 2019

Tag 47: Ankunft im Nirgendwo.

Nope.
Montag, 09.12.2019
47. und letzter Wandertag
Pinoso nach Venta Román (N-344)
6,25h (inkl. Pause) / 28km
207m rauf / 427m runter

Wenn mir an einem der Wandertage das Loslaufen ganz besonders leicht gefallen ist, dann heute. Nicht weil die Unterkunft doof gewesen wäre (ganz im Gegenteil), sondern weil ich mich tierisch auf's Ankommen freue. Bäckerei und ähnlichen Kram: Brauche ich heute alles nicht.

Besonders schön ist es hinter Pinoso nicht, aber das wusste ich auch schon vorher. Relativ langweilige Landschaft, leicht fehlplatzierte "Mansions" mit oft fragwürdigen gärtnerischen Entscheidungen, Wandern auf schmalen Asphaltpisten, die ich mir mit schlechtgelaunten Autofahrern teilen muß. Da ist der Abzweig auf den ersten Schotterweg eine gute Stunde später echt eine Erleichterung.

Ich komme an der Steinsäule vorbei, die sicherlich jeder GR7-Wanderer fotografiert hat; sie markiert die Grenze zur Provinz Murcia. Die wird für mich aber nicht lange halten, denn heute Abend bin ich schon fertig. Eigentlich beende ich heute fast jeden Satz mit dieser Aussage - passt ja irgendwie auch. Alles, was ich die letzten zwei Monate gemacht habe, ändert sich ab morgen. Die tägliche Routine aus Aufstehen - Loslaufen - Pause machen - Ankommen hört auf, das morgendliche Suchen nach der nächsten Panaderia hört auf, das Herumstammeln auf Spanisch hört auf, das Draußensein hört auf, das ständige Angeben mit blauem Himmel und frühlingshaften Temperaturen (heute immerhin bis 20 Grad) hört auf. Aber ich freue mich darauf, wieder in mein altes Leben einzutauchen. Nach fast zwei Monaten ist es auch genug.


Kurz hinter der Provinzgrenze gibt es den einzigen Aussichtspunkt des Tages. Ich suche am Horizont immer noch den Almorchón, meinen Lieblingsberg kurz hinter Cieza. Aber vergebens. Trotzdem weiß ich, daß es nicht mehr weit ist. Die Kilometer auf dem GPS fliegen heute einfach nur so weg.

Ich bin heilfroh, daß ich hier im Dezember rumlaufe und nicht während der Sommermonate. Die ganze Etappe ist ohne Schatten, durch weites und offenes Gelände. Ich komme nur einmal an Bäumen vorbei, unter denen man im Sommer eine kühle Pause einlegen könnte. Und dabei erinnere ich mich mit Schaudern an die 29 Grad, die ich letztes Jahr schon im Frühling hier in der Gegend hatte.


Die nächsten Stunden geht es eigentlich immer nur geradeaus, auf die Puerta de Jaime Román zu; ein überraschender Einschnitt in die durchgehende Bergkette, die mich nördlich schon seit seit dem Vormittag begleitet. Bis dahin passiert nicht viel und es gibt auch nicht viel zu sehen. Immer weiter nach Westen. Wegmarkierungen gibt es kaum. Möglichkeiten, sich zu verlaufen, eigentlich auch nicht.

Hab ich Bock auf Pause? Nö, heute nicht. Ich ringe mich dazu durch, ein Taxi vorzubestellen. Bis gestern Abend war ich mir noch ganz sicher, wie ich eigentlich von der gottverlassenen Venta Román ins 25km entfernte Cieza kommen will. Es gibt nen Bus, aber nur alle 4h und mit Umsteigen hinter den Bergen bei den sieben Zwergen. Trampen? Zu kompliziert. Also Taxi. Ich bin sehr gespannt, wie das mit meinem miesen Spanisch funktionieren wird. Das ist ungefähr so, als müsste man einem Berliner Taxifahrer am Telefon auf Italienisch erklären, daß man kurz vor Strausberg auf der Landstraße soundso an der ehemaligen Tankstelle XY abgeholt werden möchte. Aber wider Erwarten klappt das alles irgendwie ganz gut, der gute Mann am Telefon scheint parallel zu googlen und weiß relativ schnell, wo und was die Venta Román ist. Dann bis 1630 Uhr...


Kurz vor der Puerta bilde ich mir ein, daß ich den Almorchón da drüben hinter einem Berg hervorlugen sehe, dann müsste das links daneben der Berg über Cieza sein - ganz egal, ob ich Recht habe oder nicht: Ich rieche schon förmlich das Ziel. Bis ich meinen Berg wirklich entdecke, braucht es noch eine gute Stunde Weg, durch die Puerta bin ich da schon durch und auf dem Abstieg ins Tal der Venta Román. Eigentlich warte ich inzwischen jede Minute darauf, um die Ecke zu kommen und das gelbe Gebäude zu sehen, das mein Ziel markiert.


Aber die Venta versteckt sich. Erstmal durch endlose Obstplantagen. Und vorbei an kleinen Ansammlungen von Häusern, die vollgemüllter und abgeranzter aussehen, als alles bisher in Spanien. Kleine Gruppen streunender Hunde treiben sich herum, aber sie haben eher Schiß vor mir. Ihr Gebell verfolgt mich bis zur Autobahn, die das Tal durchschneidet. Gleich dahinter muß die Venta sein. Ich kenne das alles von der Karte, alles bekanntes Gelände. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals sehe ich die Schotterpiste, auf der ich letztes Jahr gelaufen bin, ich bin gleich da.


Und dann geht alles ganz schnell. Durch die Autobahnunterführung sehe ich das aufgegebene Restaurante Román, bewacht von einem letzten Rudel streunender Hunde, auf der Seite zur Straße hin haben sie seit letztem Jahr ein neues Bushäuschen gebaut. Ich werfe den Rucksack ab, sitze in der Sonne und bin zufrieden. Und fertig. (Naja, fast. Es fehlen noch die zwei Tage in Andalusien; die hebe ich mir für nächstes Jahr auf.) Es ist kein Zieleinlauf mit brüllendem Triumph, sondern ein stilles Ankommen am Kreisverkehr mitten im Nirgendwo, ein kurzes Nicken: Ja, hier warst du schon mal, da drüben ist der Weg, den du von Andalusien bis hierher gekommen bist. Hier ist es gut. Unspektakulär, eher mit der stillen Befriedigung, mit der der Bauer den Blick über ein frisch gepflügtes Feld schweifen lassen würde.

Das Taxi kommt pünktlich, ich kann mir während der Fahrt nach Cieza das zufriedene Grinsen nicht aus dem Gesicht wischen. Ich steige vor meinem Hotel aus, glaube die Rezeptionistin von meinem letzten Aufenthalt wiederzukennen und fühle, daß irgendwas anders ist als sonst. Übermorgen bin ich zuhause. Nach fast zwei Monaten unterwegs.

Freitag, 13. Dezember 2019

Tag 46: Verfolgt von Weihnachtsmännern. Und: SE VENDE.

Sonntag, 08.12.2019
46. Wandertag
Elda nach Pinoso
7h (inkl. kleine Pausen) / 32km
527m rauf / 352m runter

Einen echten Vorteil haben diese spanischen Einzelzimmer mit dem kleinen Fensterchen zum Lichtschacht: Man schläft morgens einfach länger, weil: Kein Licht und kein Verkehrslärm. Irgendwie wache ich aus Versehen erst um 0800 Uhr auf, nach geschlagenen 10h Schlaf. So soll es sein.

Im Hostal gibt es kein Frühstück, also irre ich durch die sonntägliche Innenstadt (als Bonus ist auch noch gleichzeitig irgendein Maria-Feiertag), auf der Suche nach einer Panaderia. Irgendwas muß es doch geben in dieser 50.000 Einwohner-Stadt. Das Erste, was ich sehe, ist ein Streifenwagen der Policia Local, die im Schritttempo durch die Wohnstraßen fährt, mit der Sirene die Nachbarn raushaut und irgendwelche Durchsagen macht. Das Zweite, was ich sehe, sind seltsamerweise immer wieder Weihnachtsmänner. Einzeln, in kleinen Gruppen, mittleren Schwadronen, aber immer zielstrebig in Richtung außerhalb der Innenstadt unterwegs. Das Dritte, was ich sehe, sind Absperrungen und ein aufblasbares Tor. Sherlock kombiniert: Eine Laufveranstaltung zum 2. Advent. Und alle im Weihnachtsmannkostüm. In mir kommt Panik auf. Der Start ist in einer Stunde, ich müsste es also noch rechtzeitig aus der Stadt raus schaffen. Gott sei Dank finde ich noch eine Panaderia für Brot und Teilchen, dann nehme ich die Beine in die Hand.


Noch aus zwei Kilometern Entfernung höre ich die Weihnachtsmann-Trommelgruppe vom Kreisverkehr. Noch nie war ich dermaßen froh, durch ein sonntägliches Industriegebiet zu laufen. Außer mir keine Sau hier. Die Sonne ist immerhin schon draußen, heute sollen es wieder um die 18 Grad werden. Ich krempel mir schon mal die Hosen hoch.

Auf dem Schild links steht übrigens: "Bitte benutzen Sie den Recyclinghof."
 

Auf Rumpelwegen neben Bahnlinie, wilder Müllkippe, Friedhofsmauer und LKW-Parkplätzen zuckele ich aus Elda raus. Ich kann mich umdrehen und zurückblicken, so oft ich will: Elda verschwindet einfach nicht. Überall sehe ich Mountainbiker: Offensichtlich haben alle, die nicht gerne als Weihnachtsmann durch die Stadt joggen, die Räder aus dem Keller geholt und sind wie ich raus in die Pampa geflohen. Ich komme aus dem "Buenas!" rufen gar nicht mehr raus.

 

Der Weg zieht sich Ewigkeiten durch eine steppige Hügellandschaft, die durchsetzt ist von Wochenendhäusern, Ruinen, aufgegebenen Terrassen mit Olivenbäumen und kleinen Hügeln, die allesamt erklommen werden wollen. Im Südosten Richtung Alicante sehe ich in den Ebenen schon die ersten Quadratkilometer weißer Folien-Gewächshäuser, wie ich sie schon aus der Ecke von Almeria kenne. Es wird warm, ich wandere in T-Shirt und kurzen Hosen und bin sehr stolz darauf. Am frühen Nachmittag ist es soweit, daß ich mich beim bergauf Laufen schon darüber freue, wenn ich mal im Schatten gehe oder wenn etwas Wind mich abkühlt. Ich bin so ein Temperatur-Snob...

Hinter dem Sattel wird das Bild landschaftlicher - das ganze nächste Tal ist eine Mischung aus Weinstöcken, ein paar Olivenhainen, manchmal auch nur eine steinige Wiese. Nothing to write home about. Eigentlich bin ich nur durchgewandert, um ins übernächste Tal zu kommen... Aber tatsächlich kommt mir die Landschaft irgendwie bekannt vor. Diese weiten ebenen Täler, zwischen denen einzelne hohe Berge oder kleine Bergketten versprenkelt liegen, erinnern mich schon an meine letzten Etappen im Frühling vorigen Jahres. Ich halte den ganzen Tag schon Ausschau am Horizont, ob ich den Almorchon schon sehen kann. (Ein einzeln stehender Berg gleich hinter Cieza, um den ich letztes Jahr herumgewandert bin. Er wird wahrscheinlich die erste Landmarke von "damals" sein, die ich sehen werde.)

Eine Stunde später laufe ich durch das Dorf Casas del Senyor, ein echt interessantes Dorf, das sich zwischen den Hügeln in die Flanken eines kleinen Flußtals zwängt. Viele Häuser sind zur Hälfte oder auch ganz in den Hang gebaut, andere an die alten Terrassen angeflanscht. Als ich an einem Schornstein vorbeilaufe, der mitten auf einer Wiese steht, brauche ich einen Moment um zu verstehen, daß die Wiese das Dach des Hauses ist, das quasi eine Terrasse weiter unten liegt. Das Dach liegt quasi auf Straßenniveau. Für die Idylle gibt es zusätzlich noch ein Aquädukt, goldgelbe Bäume im Herbstlicht und kurz hinter dem Dorfausgang zwei Polizisten der Policia Local, die sich offensichtlich im Wald versteckt haben, um Pause zu machen, zu ratschen und zu rauchen. Als sie mich um die Ecke kommen sehen, täuschen sie schnell Geschäftigkeit vor. Aber was soll an einem solchen Sonntag schon groß los sein...


Hinter den Casas geht es endlich mal wieder ein bißchen durch Wald und landwirtschaftlich kleinteilige Felder und Plantagen. Ich bin zufrieden mit dem Tag. Der Gedanke, morgen Abend in Cieza anzukommen und im Wesentlichen fertig zu sein, ist trotzdem ein bißchen schräg. Erstmal freue ich mich auf heute Abend, ich werde in Pinoso in einer Casa Rural zu Gast sein, auf deren Waschmaschine ich mich schon seit Tagen freue. Ist zwar schräg, ausgerechnet auf der letzten Etappe mit frisch gewaschenen Klamotten unterwegs zu sein, aber mir ist ja schließlich keine Seltsamkeit zu seltsam.

Mein Schatten unten links ist natürlich volle Absicht.
Steinmauern. Was für ein großartiges Handwerk!
Die letzten Stunden bis Pinoso sind eher langweilig. Einziges Highlight ist ein Jogger, der mir entgegenkommt. Aus seinem Handy plärrt laut Musik und er hat offensichtlich schlechte Laune. Zehn Minuten weiter entdecke ich seine zerstörten Kopfhörer auf der Straße. Fünf Minuten später eine verlorene Packung Taschentücher. Der Mann hat echt sperrangelweit offene Taschen... Oder er spielt Schnitzeljagd.

Was auffällt, ist die stark steigende Anzahl an leerstehenden lachs- und allgemein pastellfarbenen Villen von der Stange, an denen ich vorbeilaufe, während ich auf Pinoso zusteuere. Hier im Hinterland von Alicante sind die "SE VENDE"-Schilder nochmal häufiger als sonstwo, außerdem sehe ich die Schilder immer wieder auch auf Englisch, was dafür spricht, daß sich in der Gegend wirklich viele Briten niedergelassen haben. Ich weiß auch, wie sie hierher kommen: Ich hab den ganzen Nachmittag schon die Easyjet-Maschinen im Landeanflug auf Alicante am Himmel beobachten können. Jedenfalls: Alicante Dream Homes. Massenhaft zu haben. Aber in vielen Fällen eigentlich nicht sehr begehrenswert. Landschaftlich kann Spanien echt mehr als hier, das habe ich selbst gesehen...


Pinoso haut mich dementsprechend nicht von Hocker, ich habe mit meiner Unterkunft allerdings super Glück gehabt. Freundliche Leute, ein schönes neues Apartment ganz für mich alleine. Als die Damen hören, daß ich auf großer Wandertour bin, stellen sie mir gleich noch ein paar Bier in den Kühlschrank. Ich habe mein Abendessen heute schon den ganzen Tag auf dem Buckel hierher geschleppt, es gibt ganz einfach Pasta. (Vor allem, weil ich sowas seit Wochen schon nicht mehr gegessen habe.) Auf dem Wäscheständer hängen meine frisch gewaschenen Klamotten, ich suche mir schonmal Vokabeln raus, um morgen früh der Taxizentrale in Cieza zu erklären, wo ich abends abgeholt werden will. Das wird sicherlich ein Lost-In-Translation-Fest. Aber das sehen wir morgen...

Donnerstag, 12. Dezember 2019

Tag 45: Zu Besuch in der Großstadt.

Castalla: Burg und Altstadt.
Samstag, 07.12.2019
45. Wandertag
Castalla nach Elda
7h (inkl. Pausen) / 24km
495m rauf / 734m runter

Der Rucksack ist verdammt schwer heute früh... Der Einkauf von gestern Abend lastet immer noch schwer auf meinen Schultern. Vor allem, weil ich unter anderem schon das Dinner für morgen Abend mit mir herumschleppe - wenn ich schonmal die Chance habe, nach fast 2 Monaten wieder selbst zu kochen (und das habe ich morgen Abend, weil ich mir in Pinoso ein Apartment statt eines Zimmers geschossen habe), dann will ich das auch nutzen. 

Trotzdem mache ich mich erstmal auf die inzwischen zur Routine gewordene Suche nach einer Panaderia; die Pasteleria Mercedes betrete ich natürlich gerne (allein schon wegen ihres Namens) und verlasse sie gleich darauf wieder mit einem noch etwas schwereren Rucksack. Beim Qurchqueren von Castalla streife ich noch über den Wochenmarkt und durch die Einkaufsstraße und genieße das samstägliche Gewusel. Die kommunale Weihnachtsbeleuchtung hängt schon seit Wochen, auf dem nächsten Platz steht eine Holzhütte mit Krippe und lebensgroßen Plastiktieren auf Stroh vom Bauern. Ich laufe in kurzen Hosen daran vorbei.

Blick zurück auf Castalla mit seinem Burgberg.
Noch auf dem ersten Aufstieg gleich hinter Castalla lege ich auf halber Höhe eine Frühstückspause ein und nehme dabei die Parade der Jogger, Hundeausführer, Mountainbiker und Spaziergänger ab, die sich hier auf dem Hausberg von Castalla herumtreiben. Weiter oben am Paß treffe ich als Höhepunkt noch eine Gruppe Kinder, alle so um die 6 bis 7 Jahre alt, alle brav in Warnwesten gekleidet. Sie wuseln um eine Ruine herum und sind im Wald links und rechts des Weges unterwegs, die Betreuer sitzen entspannt in der Sonne und ich glaube ihnen sofort, daß sie alles im Griff haben.

Der Weg ist heute super gnädig mit mir. Nach den ersten 300m Aufstieg ist die Arbeit des Tages eigentlich schon fast getan. Ein paar Kilometer geht es noch auf gleichen Höhe weiter, dann kippt die Forstpiste runter ins nächste Tal und ab dann geht's eigentlich nur noch bergab. Umso zufriedener versenke ich die Hände in den Hosentaschen, als ich die paar Kilometer auf der Hochebene entlangwandere, Musik in den Ohren, Nase in der Sonne.





Beim Abstieg muß ich mehrmals stehenbleiben und die Aussicht ins Tal bewundern. Die Bergketten in der Ferne überlagen sich immer weiter in dunkler werdenden Schattierungen aus blau und grau, irgendwo da hinten muß Cieza liegen. Irgendwo da hinten war ich letztes Jahr schon mal. Irgendwo da hinten werde ich fertig sein.

Eine gute Stunde vor Elda komme ich in meinem Tal an riesigen Sanddünen vorbei, die träge an den Hängen in der Sonne braten. Diverse Schilder, Absperrungen und Zäune zeugen davon, daß das kein Standard ist und tatsächlich komme ich um die Ecke und stehe vor einer kleinen Informationshütte, die mit einem kreuzgelangweilten jungen Herren besetzt ist. Er guckt sich am Wegesrand 100m weiter gerade ein paar Pflanzen an und schaltet ertappt in den Geschäftigkeitsmodus, als er mich sieht, aber ich will nur ein bißchen gucken und dann weitergehen. Er hat seinen weißen Suzuki dooferweise genau im besten Fotowinkel geparkt, aber das ist wahrscheinlich nur seine Rache dafür, daß ich gar kein Interesse an weiterführenden Informationen habe, die ich dank katastrophaler Spanisch-Kenntnisse sowieso nicht verdauen könnte.


Kurz bevor Elda wirklich beginnt, muß ich noch flott unter der nächsten Autobahn durch. Dafür stehen heute gleich drei Tunnel zur Auswahl, die für mich allerdings eher nach Fluttunnel als Fußgängerunterführung wirken. Ich wähle die Mittlere der drei Röhren und stehe auf der anderen Seite wieder mal in einem seltsamen Niemandsland zwischen Autobahn, Flutkanal, Straßenbrücke und verfallenen Gartenhäusern. Zwischen Fluß und Nationalstraße finde ich einen kleinen Pfad durch den sumpfigen Grund, der mich kurz darauf am Rand eines ausbetonierten Kanals ausspuckt, der wahrscheinlich die Überschwemmungen im Frühjahr bändigen soll. Was zunächst noch total häßlich aussieht, wird immer schöner, je weiter ich entlang dieses Kanals in Richtung Innenstadt wandere. Die eine Seite des Kanals ist mit Palmen, die andere Seite mit Mandelbäumen bepflanzt, ich wechsele je nach Sonnenstand zwischen den beiden Seiten hin und her - und als ich mich entlang dieses Beton-Kanal-Parks bis unterhalb der Altstadt gemogelt habe (ohne dabei auch nur das kleinste Industriegebiet durchqueren zu müssen!), bin ich schon wieder total versöhnt mit Elda und freue mich über die tiefstehende Nachmittagssonne, die Palmen und eine weitere geschaffte Etappe.

Tor 1, Tor 2 oder Tor 3?
 

Elda fühlt sich gleich nach dem letzten Foto oben an wie eine Großstadt: Wohnblocks, hohe Häuser, Ampeln überall und ein schier überquellendes Angebt an Geschäften. Ich bin es einfach nicht mehr gewohnt. Mein Hostal für heute Abend ist untenrum super professionell; überall spiegelglatte Steinoberflächen, eine snazzy Glasschiebetür, mit einer Rezeptionistin, die mich so souverän eincheckt und dabei zwischen den Sprachen hin- und herwechselt, als hätte sie in einem 5-Sterne-Haus gelernt. Obenrum (also die Treppe hoch) ist das Hostal dann allerdings ganz klassischer spanischer Standard mit wahnsinnig schmalen Gängen, winzigen Zimmern, dem Waschbecken neben dem Bett und sage und schreibe 9 verschiedenen Gebots- und Verbotsschildern, die allesamt von innen an die Zimmertür geklebt sind.

Mittwoch, 11. Dezember 2019

Tag 44: Mittelprächtige Laune, mittelprächtiger Tag.

Freitag, 06.12.2019
44. Wandertag
Venta El Borrego nach Castalla
6h (inkl. Pause) / 25km
521m rauf / 539m runter

Ey, ich hatte doch schönes Wetter bestellt! Der Morgen vor der Venta sieht erstaunlich fies aus, dunkle Wolken überall. Ich bin spät wach geworden und habe mir mißmutig die Wanderklamotten angezogen, die noch von gestern klamm sind. So habe ich auch keine Lust auf Frühstück, also raus und los.

Heute ist Feiertag (Tag der spanischen Verfassung), das Industriegebiet außerhalb von Banyeres schläft tief und fest, der Ort ebenfalls. Außer der kleinen Panaderia zwischen den Apartmentblocks from Hell. Ich muß hier weg.





Hinter Banyeres treffe ich in der nächsten Stunde noch ein paar Feiertagsjogger und -spaziergänger, dann wird es ruhig. Ein uralter klappriger Peugeot 205 hält rumpelnd neben mir und bietet an, mich ein Stück mitzunehmen. Neinnein, vielen Dank - aber die nette Geste zaubert mir trotzdem für die nächsten 10 Minuten ein Lächeln auf die Lippen.

Die Etappe heute ist nicht lang, um die 25km, in der Mitte ein ordentlicher Aufstieg. Die Sonne kommt kurz raus, bevor ich den Berg in Angriff nehme und ich finde eine kleine Wiese oberhalb der Straße, von wo aus ich alles überblicken kann. Frühstückspause. Aber ich halte es nicht lange aus, zu kalt und zu naß ist es immer noch um mich herum. Einzige Lösung: Warmlaufen. Unerwarteterweise finde ich eine Piste, die neben der erschreckend vielbefahrenen Straße nach oben führt und bin froh, daß ich in dem Gewusel aus Ausflüglern und Letztes-Mal-dieses-Jahr-Motorradfahrern nicht um meinen Platz kämpfen muß.

Auf dem GPS habe ich mir den schönen Marker "Ende Straßenetappe" gesetzt und diesmal freue ich mich wirklich darauf, von der Straße abzubiegen. Die nächste Stunde laufe ich entspannt durch ein kleines Tal bergab, treffe dabei wieder auf den GR7, den ich vor - äh, wie lange? - ungefähr einer Woche verlassen habe. Die letzten Tage bis Cieza werde ich wieder dem GR7 folgen, das reduziert auf jeden Fall den Anteil von Asphalt und Straßen. Bisher hat der GR7 sich fast immer geweigert, irgendwelche Wege zu benutzen, die breiter als 1,50m sind.


Heute ist Mountainbikertag, aus allen Ecken kommend und in alle Richtungen wuseln die Herren bergauf und bergab. (Einschub: Offensichtlich fahren in Spanien nur die Herren Mountainbike. Es dürfte Wochen her sein, daß ich mal eine Frau auf dem Fahrrad gesehen habe...) Kein Wunder, wie gestern auch schon wird der Nachmittag erfreulich sonnig. An der Area Recreativa oberhalb von Castalla/Onil ist die Hölle los, es wird gegrillt was das Zeug hält. Kinder rennen in marodierenden Horden durch den Wald, der Parkplatz ist voll. Es herrscht ein Stimmengewirr wie im Bierzelt. Für mich ein klarer Fall von Feiertagseuphorie.

Ich biege statt dessen ganz still nach links ab und wandere die letzten Kilometer bis runter nach Castalla. Es war ein etwas komischer Tag - erschreckend reizlos. Oder vielleicht hat meine unbegründete mißmutige Laune von heute früh einfach bis zum Nachmittag durchgehalten und mir den Tag vermurkst. Ich weiß es nicht. Ich mache noch ein paar Fotos von Castallas häßlichem Entree zwischen Autobahn und Industriegebiet, finde mein etwas seltsames Hotel neben einer Aldi-Filiale und bin / bleibe offensichtlich der einzige Gast für die Nacht. Passt irgendwie ganz gut zum heutigen Tag... Morgen darf besser werden.