Freitag, 13. Dezember 2019

Tag 46: Verfolgt von Weihnachtsmännern. Und: SE VENDE.

Sonntag, 08.12.2019
46. Wandertag
Elda nach Pinoso
7h (inkl. kleine Pausen) / 32km
527m rauf / 352m runter

Einen echten Vorteil haben diese spanischen Einzelzimmer mit dem kleinen Fensterchen zum Lichtschacht: Man schläft morgens einfach länger, weil: Kein Licht und kein Verkehrslärm. Irgendwie wache ich aus Versehen erst um 0800 Uhr auf, nach geschlagenen 10h Schlaf. So soll es sein.

Im Hostal gibt es kein Frühstück, also irre ich durch die sonntägliche Innenstadt (als Bonus ist auch noch gleichzeitig irgendein Maria-Feiertag), auf der Suche nach einer Panaderia. Irgendwas muß es doch geben in dieser 50.000 Einwohner-Stadt. Das Erste, was ich sehe, ist ein Streifenwagen der Policia Local, die im Schritttempo durch die Wohnstraßen fährt, mit der Sirene die Nachbarn raushaut und irgendwelche Durchsagen macht. Das Zweite, was ich sehe, sind seltsamerweise immer wieder Weihnachtsmänner. Einzeln, in kleinen Gruppen, mittleren Schwadronen, aber immer zielstrebig in Richtung außerhalb der Innenstadt unterwegs. Das Dritte, was ich sehe, sind Absperrungen und ein aufblasbares Tor. Sherlock kombiniert: Eine Laufveranstaltung zum 2. Advent. Und alle im Weihnachtsmannkostüm. In mir kommt Panik auf. Der Start ist in einer Stunde, ich müsste es also noch rechtzeitig aus der Stadt raus schaffen. Gott sei Dank finde ich noch eine Panaderia für Brot und Teilchen, dann nehme ich die Beine in die Hand.


Noch aus zwei Kilometern Entfernung höre ich die Weihnachtsmann-Trommelgruppe vom Kreisverkehr. Noch nie war ich dermaßen froh, durch ein sonntägliches Industriegebiet zu laufen. Außer mir keine Sau hier. Die Sonne ist immerhin schon draußen, heute sollen es wieder um die 18 Grad werden. Ich krempel mir schon mal die Hosen hoch.

Auf dem Schild links steht übrigens: "Bitte benutzen Sie den Recyclinghof."
 

Auf Rumpelwegen neben Bahnlinie, wilder Müllkippe, Friedhofsmauer und LKW-Parkplätzen zuckele ich aus Elda raus. Ich kann mich umdrehen und zurückblicken, so oft ich will: Elda verschwindet einfach nicht. Überall sehe ich Mountainbiker: Offensichtlich haben alle, die nicht gerne als Weihnachtsmann durch die Stadt joggen, die Räder aus dem Keller geholt und sind wie ich raus in die Pampa geflohen. Ich komme aus dem "Buenas!" rufen gar nicht mehr raus.

 

Der Weg zieht sich Ewigkeiten durch eine steppige Hügellandschaft, die durchsetzt ist von Wochenendhäusern, Ruinen, aufgegebenen Terrassen mit Olivenbäumen und kleinen Hügeln, die allesamt erklommen werden wollen. Im Südosten Richtung Alicante sehe ich in den Ebenen schon die ersten Quadratkilometer weißer Folien-Gewächshäuser, wie ich sie schon aus der Ecke von Almeria kenne. Es wird warm, ich wandere in T-Shirt und kurzen Hosen und bin sehr stolz darauf. Am frühen Nachmittag ist es soweit, daß ich mich beim bergauf Laufen schon darüber freue, wenn ich mal im Schatten gehe oder wenn etwas Wind mich abkühlt. Ich bin so ein Temperatur-Snob...

Hinter dem Sattel wird das Bild landschaftlicher - das ganze nächste Tal ist eine Mischung aus Weinstöcken, ein paar Olivenhainen, manchmal auch nur eine steinige Wiese. Nothing to write home about. Eigentlich bin ich nur durchgewandert, um ins übernächste Tal zu kommen... Aber tatsächlich kommt mir die Landschaft irgendwie bekannt vor. Diese weiten ebenen Täler, zwischen denen einzelne hohe Berge oder kleine Bergketten versprenkelt liegen, erinnern mich schon an meine letzten Etappen im Frühling vorigen Jahres. Ich halte den ganzen Tag schon Ausschau am Horizont, ob ich den Almorchon schon sehen kann. (Ein einzeln stehender Berg gleich hinter Cieza, um den ich letztes Jahr herumgewandert bin. Er wird wahrscheinlich die erste Landmarke von "damals" sein, die ich sehen werde.)

Eine Stunde später laufe ich durch das Dorf Casas del Senyor, ein echt interessantes Dorf, das sich zwischen den Hügeln in die Flanken eines kleinen Flußtals zwängt. Viele Häuser sind zur Hälfte oder auch ganz in den Hang gebaut, andere an die alten Terrassen angeflanscht. Als ich an einem Schornstein vorbeilaufe, der mitten auf einer Wiese steht, brauche ich einen Moment um zu verstehen, daß die Wiese das Dach des Hauses ist, das quasi eine Terrasse weiter unten liegt. Das Dach liegt quasi auf Straßenniveau. Für die Idylle gibt es zusätzlich noch ein Aquädukt, goldgelbe Bäume im Herbstlicht und kurz hinter dem Dorfausgang zwei Polizisten der Policia Local, die sich offensichtlich im Wald versteckt haben, um Pause zu machen, zu ratschen und zu rauchen. Als sie mich um die Ecke kommen sehen, täuschen sie schnell Geschäftigkeit vor. Aber was soll an einem solchen Sonntag schon groß los sein...


Hinter den Casas geht es endlich mal wieder ein bißchen durch Wald und landwirtschaftlich kleinteilige Felder und Plantagen. Ich bin zufrieden mit dem Tag. Der Gedanke, morgen Abend in Cieza anzukommen und im Wesentlichen fertig zu sein, ist trotzdem ein bißchen schräg. Erstmal freue ich mich auf heute Abend, ich werde in Pinoso in einer Casa Rural zu Gast sein, auf deren Waschmaschine ich mich schon seit Tagen freue. Ist zwar schräg, ausgerechnet auf der letzten Etappe mit frisch gewaschenen Klamotten unterwegs zu sein, aber mir ist ja schließlich keine Seltsamkeit zu seltsam.

Mein Schatten unten links ist natürlich volle Absicht.
Steinmauern. Was für ein großartiges Handwerk!
Die letzten Stunden bis Pinoso sind eher langweilig. Einziges Highlight ist ein Jogger, der mir entgegenkommt. Aus seinem Handy plärrt laut Musik und er hat offensichtlich schlechte Laune. Zehn Minuten weiter entdecke ich seine zerstörten Kopfhörer auf der Straße. Fünf Minuten später eine verlorene Packung Taschentücher. Der Mann hat echt sperrangelweit offene Taschen... Oder er spielt Schnitzeljagd.

Was auffällt, ist die stark steigende Anzahl an leerstehenden lachs- und allgemein pastellfarbenen Villen von der Stange, an denen ich vorbeilaufe, während ich auf Pinoso zusteuere. Hier im Hinterland von Alicante sind die "SE VENDE"-Schilder nochmal häufiger als sonstwo, außerdem sehe ich die Schilder immer wieder auch auf Englisch, was dafür spricht, daß sich in der Gegend wirklich viele Briten niedergelassen haben. Ich weiß auch, wie sie hierher kommen: Ich hab den ganzen Nachmittag schon die Easyjet-Maschinen im Landeanflug auf Alicante am Himmel beobachten können. Jedenfalls: Alicante Dream Homes. Massenhaft zu haben. Aber in vielen Fällen eigentlich nicht sehr begehrenswert. Landschaftlich kann Spanien echt mehr als hier, das habe ich selbst gesehen...


Pinoso haut mich dementsprechend nicht von Hocker, ich habe mit meiner Unterkunft allerdings super Glück gehabt. Freundliche Leute, ein schönes neues Apartment ganz für mich alleine. Als die Damen hören, daß ich auf großer Wandertour bin, stellen sie mir gleich noch ein paar Bier in den Kühlschrank. Ich habe mein Abendessen heute schon den ganzen Tag auf dem Buckel hierher geschleppt, es gibt ganz einfach Pasta. (Vor allem, weil ich sowas seit Wochen schon nicht mehr gegessen habe.) Auf dem Wäscheständer hängen meine frisch gewaschenen Klamotten, ich suche mir schonmal Vokabeln raus, um morgen früh der Taxizentrale in Cieza zu erklären, wo ich abends abgeholt werden will. Das wird sicherlich ein Lost-In-Translation-Fest. Aber das sehen wir morgen...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen