Mittwoch, 30. Oktober 2019

Tag 9: Zelten in den Bergen.

Mein neues Lieblings-Hostal am Morgen...
Freitag, 25.10.2019
9. Wandertag
Isuerre nach Pozo Pígalo (Zelt)
7h (inkl. 2h Mittagspause) / 19km 
569m hoch / 386m runter

Bei der Verhandlung der Frühstückszeit für heute morgen habe ich einen strategischen Schlenker nach hinten gebracht. Meine Wirtin bringt erst ihren Sohn zur Schule nach Sangüesa, danach gibt’s Frühstück. Ist zwar ungewöhnlich spät um 0930 Uhr, aber würde ich mich tatsächlich beschweren, wenn ich morgens noch ein bißchen länger im Bett rumhängen kann? Außerdem habe ich heute genug Zeit und kann dann nebenbei noch eines der frisch in Sangüesa gekauften Brote als Proviant einsacken. Kostenpunkt für Zimmer, Abendessen, div. Biere, Frühstück und das Brot: 35 EUR. Gleichzeitig wurde sich lange nicht so liebevoll um mich gekümmert, obwohl ich gestern Nachmittag naß, dreckig und vor allem überraschend zur Tür reingeschneit bin.

Ich verabschiede mich und steige draußen erstmal ein paar Stufen zur Kirche hoch, die golden in der Vormittagssonne glänzt. Die Aussicht geht über das ganze Tal und die Berge dahinter, die ich heute und morgen durchwandern werde. Erst nach einer Minute bemerke ich den alten Mann ein Stück weiter auf der Bank, der sich die Sonne auf die Nase scheinen läßt. Nach einem kleinen Smalltalk – soviel mein Spanisch halt zulässt – ziehe ich los.

Gleich unterhalb vom Dorf ist ein lokaler Wanderweg unten am Fluß entlang ausgeschildert, der allerdings so verwachsen und verwildert ist, daß ich ihn nicht finden kann. Bzw. nicht finden will, denn die Aussicht auf einen Etappenbeginn im taunassen Unterholz ist nicht so ganz das, was mich zum Schwärmen bringt. Also bleibe ich auf der Straße, was auch wieder nicht so schlimm ist, denn ich kann dabei in die wärmende Vormittagssonne blinzeln. In der nächsten Stunde begegnet mir genau ein Auto.

Kurz vor Lobera d'Onsella kommt mir plötzlich meine Wirtin von gestern Abend auf einem Quad entgegen, hupt, winkt und ist schon wieder vorbei. Ich hab sie wenigstens gerade noch rechtzeitig unter dem Helm erkannt, um freundlich zurück zu winken. Am Rand von Lobera d'Onsella studiere ich noch die Informationstafel mit den eingezeichneten Wanderwegen, ohne deutlich schlauer daraus zu werden. Es gibt wohl außer dem Weg, den ich mir ausgesucht habe, noch einen anderen Wanderweg, aber wenn der genauso mies begangen ist wie der Weg von vorhin, dann bleibe ich für meinen Weg hoch in die Berge vielleicht doch lieber auf der Piste. Wie zur Bestätigung hält ein rumpeliger Geländewagen neben mir und ein älterer Herr mit einem noch viel älteren Beifahrer fragt nach dem Wohin. Ich erkläre so gut es geht, als Antwort kriege ich einen Redeschwall zurück, in dem mehrmals das Wort „Pista“ stark betont herausfällt. Ich deute das als klare Empfehlung, auf der Piste zu bleiben.

Also schraube ich mich die nächsten 2,5 Stunden auf der sonnigen Schotterpiste hoch in die Berge, kann bald von oben auf Lobera d'Onsella und mein gestriges Etappenziel Isuerre gucken, dahinter erstreckt sich der Bergrücken, auf dem ich gestern entlang gewandert bin.

Am mittleren Nachmittag finde ich endlich einen richtig schönen Platz zum Hinsetzen. Die Aussicht auf die Sierra de Santo Domingo ist fantastisch, leichter Wind zieht den Hang entlang, die Sonne scheint, blauer Himmel. Und wenn ich mich ein bißchen strecke, sehe ich die schneebedeckten Pyrenäen (im Reisekatalog heißt das glaube ich „seitlicher Meerblick“). Nach einem kleinen Imbiß dauert's nicht lange und mir fallen die Augen zu, ich döse in den Nachmittag hinein. In diesem Moment genieße ich voll und ganz die Freiheit, die mir das Zelt im Rucksack gibt. Ich muß heute nirgendwo sein, nicht zu einer bestimmten Uhrzeit ankommen, sondern einfach solange laufen, bis ich einen schönen Platz für die Nacht finde.


Nach fast 2 Stunden Pause mache ich mich an das letzte Stückchen Aufstieg, das ich mir vorgenommen habe, schlendere dann in der späten Nachmittagsonne wieder auf der entspannten Forstpiste. Ich treffe meine erste Schlange – fast wäre ich auf sie draufgetreten. Kurz darauf komme ich am Wegweiser des kleinen Wanderweges vorbei, der von Lobera d'Onsella heraufführt (also der Weg, den ich heute Mittag verschmäht hatte): Gute Entscheidung. Schmaler Pfad, sieht schwer nach Schwimmen im Gestrüpp aus. Wahrscheinlich war meine optisch unromantische Piste mit Aussicht doch schöner und entspanner für den Aufstieg.

Gegen 1700 komme ich am Pozo Pígalo an, einem Gebirgstal, das im Sommer einiges an Ausflugsverkehr zu sehen scheint. Picknickbänke, ein Campingplatz (der Ende Oktober natürlich geschlossen ist), der Bach bildet kleine Pools mit Wasserfällen, die im Sommer zum Baden verpflichten. Ende Oktober: Not so much. Auf dem Parkplatz steht ein einzelnes Auto, die dazugehörige Fahrerin liegt in Outdoorklamotten auf einer der Bänke in der Sonne und hat die Augen zugemacht.


Einen besseren Platz für's Zelt finde ich heute wahrscheinlich nicht mehr, also werfe ich den Rucksack ab und erkunde die nähere Umgebung. Mache einen Spaziergang den Bach hinauf, das Ganze wieder zurück in die Gegenrichtung, hoch zur Kuhweide. Dort steht das Refugio del Curro, eine primitive Schutzhütte, die mit ihrem nackten Steinboden allerdings weniger einladend ist als das weiche Gras neben den Picknickbänken. Ich mache ein paar Fotos, streune weiter herum, die Sonne geht langsam unter, das letzte Auto macht sich auf dem Weg ins Tal. Ich esse ein kleines Nachtmahl, baue mein Zelt auf und krieche glücklich in meinen Schlafsack, weil es draußen sehr schnell empfindlich kalt wird.

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