Samstag, 2. November 2019

Tag 12: Grüne Holle / Graue Hölle.

Montag, 28.10.2019
12. Wandertag
Santa Eulalia de Gállego nach Montmesa
7h (inkl. Pause) / 27km 
238m hoch / 295m runter

Hrmpf. Draußen Wolken, alles braun in grau, vielleicht 12 Grad. Meine Morgenlaune ist mittelprall, wenigstens schaffen es die herbstbunten Bäume im Tal des Rio Gállego, mich wieder aufzuheitern. Heute wird quasi eine schwarz-weiße Etappe werden. Die erste Hälfte des Tages führt mich auf kleinen Wegen am Ufer des Rio Gállego entlang, die zweite Hälfte dreht die Landschaft um 180 Grad und es geht durch weite öde Feldlandschaften, die wüstenhaft und verlassen wirken.



Gleich hinter der Brücke über den Rio Gállego biegt ein kleiner Pfad nach Süden ab, der sich neben dem Fluß entlangschlängelt. Links der steile Hang des Flußtals mit überkopfhohem Gestrüpp und Unterholz, durch das man unmöglich hindurchkommen würde. Rechts das milchig-grüne Wasser des Rio Gállego, das gemächlich nach Süden fließt.




Eine gute Stunde später staut sich der Fluß immer weiter auf und wird langsam zu einem grünen See. Das Unterholz links und rechts wird noch undurchdringlicher und stacheliger, der Weg mittendurch wurde offenbar erst vor einigen Wochen wieder freigeschnitten, sieht alles frisch aus. An manchen Stellen kann man alte – aufgegebene – Stücke des Pfades erkennen, da wäre kein Durchkommen mehr. Was hätte ich geflucht! Aber so wandere ich Stunde um Stunde durch einen Tunnel aus Grün, Gelb, Braun und Grau; ein feuchter Dschungel neben dem Fluß. Die Vegetation wuchert, wohin sie nur kann, hier zweigt kein Trampelpfad ab, sondern es erheben sich akkurat zurechtgestutzte grüne Wände links und rechts von mir.



In einem feuchten Wiesental ein paar Kilometer weiter trete ich fast auf ein Tier, das ich erst nur im Augenwinkel gesehen habe: Einen Flußkrebs. Ein ganzes Stück vom Fluß weg, aber very much alive. Sobald ich ihm zu nahe komme, reißt er die roten Scheren hoch und stellt sich drohend auf. Das Vieh ist knapp 15cm lang und ich komme ihm lieber nicht zu nahe. (Abends lese ich im Internet, daß der Rote Amerikanische Sumpfkrebs in Spanien zur schwer invasiven Art erklärt wurde und mitverantwortlich für das Aussterben fast aller anderer Flußkrebsarten ist. Die gleiche Spezies läuft wohl übrigens auch gerne mal in Berlin rum...)

In Ardisa setze ich mich in den kleinen kommunalen Park neben dem Schwimmbad, der Gemeindearbeiter mit dem Laubbläser beäugt mich kurz mißtrauisch, sortiert mich in die Kategorie "harmlos" ein und macht dann auch lieber Mittagspause, statt seine Geräte vor mir in Sicherheit zu bringeb. Ich arbeite mich an der Schokokeks-Rolle ab, die ich noch von gestern im Rucksack habe – keine Chance, das esse ich noch locker 2 weitere Tage dran.

Ardisa ist der Wendepunkt des Tages, dahinter beginnt flaches Land. Ich überquere ein letztes Mal den Rio Gállego, diesmal auf der Staumauer des Presa di Ardisa (trotz eindeutig roter Ampel), dann geht’s in die Wüste. Der Rio Gállego ist jetzt nur noch ein ausgebluteter kahler Kanal, der dem Bewässern der Felder dient.


Windiges Land, abgeerntete Getreidefelder, hinter jedem dritten Hügel eine stinkende Schweinemastanlage, aufgegebene Bahnlinien, deren Bahnhöfe noch wie vergessen mitten auf dem Feld stehen, eingestürzte Steinhäuser, braun in grau.


Hinter einem der nächsten Hügel sehe ich immerhin schon Montmesa, das Ziel der Etappe. Hier wollte ich eigentlich nie hin, ist ein Umweg von mehreren Kilometern, aber hier gibt es ein etwas eigenwilliges „Garten-Hotel“, der einzige Beherbergungsbetrieb überhaupt weit und breit. Das Dorf ist eines der Ohnmächtigsten, das ich je gesehen habe, keine Ahnung, wann hier jemand das letzte Mal gelacht hat.


Im Garten-Hotel bin ich als Fußgänger irgendwie fehl am Platz, aber ich kann mir bei der Schlüsselübergabe immerhin schonmal ein Abendessen aussuchen; neben der Rezeption steht ein Kühlschrank mit eiskalten Getränken und einer Kasse des Vertrauens, es gibt kein Internet und keinen Handyempfang und irgendwie passt das alles sehr gut zusammen. Mal sehen, ob ich's morgen wieder in die Zivilisation zurück schaffe...

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