Montag, 11. November 2019

Tag 20: Staubwolken am Horizont.

Mittwoch, 06.11.2019
20. Wandertag
Lécera nach Albalate de Arzobispo
6,25h (inkl. Pausen) / 24km
187m rauf / 369m runter

Nach dem Frühstück bei Jesús finden wir am Dorfplatz den winzigsten Supermarkt der Welt - ich mache gleich nach dem Eingang wieder kehrt und stelle meinen Rucksack lieber draußen ab. Ist mir zu eng und damit zu gefährlich... Wir kaufen unseren Proviant zusammen, unter anderem das letzte verfügbare Brot (das sich Herr Müller aus Tradition gleich wieder außen an den Rucksack schnallt) und eine Tarta de Limón (die ich mir ins Körbchen lege, weil sie so lecker nach einem saftigen Zitronenkuchen auf einem zarten Mürbteigboden aussieht -- dazu später mehr...).

Lécera ist ganz schnell wieder zu Ende, noch ne kleine Aussicht auf die Ermita de Santo Domingo, noch ein kleiner gründlich zubetonierter Picknickplatz am Wasserreservoir, dann stehen wir auf dem Feld und vor uns liegt das weite Nichts. Heute fühlt es sich tatsächlich nach Wüste an, vor uns breitet sich eine leere Landschaft aus, in der sich nur ein oder zwei Staubwolken träge von links nach rechts bewegen: Irgendwelche Traktoren, die auf den Feldern arbeiten. Der Wind kommt heute konsequent von hinten, was die Sache etwas weniger verkniffen macht, so daß wir uns schön die Sonne ins Gesicht scheinen lassen können.


Wir spulen Kilometer um Kilometer in dieser leeren Landschaft ab, der Kirchturm von Lécera wirkt immer noch zum Greifen nah, obwohl wir schon zwei Stunden unterwegs sind. Außer einem Bauern mit Trecker, der gerade zwischen Staubwolken sein Feld säht, sehen wir über Stunden hinweg kein menschliches Wesen. Die vielen alten Corrals neben dem Weg sind allesamt zu Ruinen verfallen und strecken nur noch ihre offen liegenden Knochen in dem Himmel, Sonne und Wind ausgesetzt. Auch die Tatsache, daß wir gegen Mittag auf einer der Caminos de Santiago treffen, ändert nichts an der Einsamkeit. Der Pilgercounter bleibt bei Null stehen.


Wir machen hinter einem kleinen Wäldchen Pause und liegen im Windschatten herum. Ich habe uns liebevoll meine Baumarktplane als Pickneckdecke ausgebreitet, dazu das karierte Geschirrhandtuch, das mich seit mehr als 10 Jahren auf meinen Wandertouren begleitet. Die Fliegen finden uns relativ schnell und leisten uns bei der Mittagspause Gesellschaft, während wir uns durch den Inhalt unserer Rucksäcke futtern. Unser Aufreger des Tages: Die Tarta de Limón. Auf der Packung so saftig, so appetitlich, so lecker. In Wirklichkeit: Ein solider Block aus Marzipan, gefüllt mit einer zähen Zucker-Zitronenmasse. Selten so enttäuscht worden. Selten so getäuscht worden! Man vergleiche den "Serviervorschlag" mit dem tatsächlich servierten Produkt.


Trotzdem essen wir alles auf.

Nach der Mittagspause wandern wir nochmal 2 oder 3 Stunden zwischen leeren Feldern hindurch. Immerhin nähern wir uns dabei langsam der nächsten Bergkette, die wir ab morgen durchwandern werden. Auch das erste Gewerbegebiet an den Rändern von Albalate de Arzobispo, unserem Etappenziel, zeichnet sich inzwischen schon hell vor den Bergen ab. Wir laufen mitten durch, vorbei an gelangweilten LKW-Fahrern, die auf Ladung oder Entladung warten. Hinter dem Recyclingwerk für Aluminium, das nebenbei offensichtlich fleißig Plastikabfall verbrennt, beginnt gleich wieder das nächste Feld, der nächste Olivenhain. Man könnte sich fast einreden, das Gewerbegebiet sei nur ein schlechter Traum gewesen. Immerhin finden wir einen schön absurden Zebrastreifen, der ins Nichts führt. Sehr passend für diesen Tag...

 

Der eigentliche Ort Albalate versteckt sich irgendwo da hinten in den Hügeln und ist noch nicht zu sehen, obwohl wir eigentlich nur noch eine halbe Stunde Weg vor uns haben. Aber die Gärten, Schrottplätze und neugebauten Häuser lassen uns zuverlässig wissen, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Albalate liegt scharf am Hang unten im Tal, wir laufen durch schmale Gassen, die turmhoch nur ein schmales Stück Himmel freigelassen haben. Es muß hier wohl auch ein Castillo geben, davon war aber weit und breit - außer einem Schild - noch nix zu sehen. Ein Zustand, den wir morgen unbedingt ändern müssen. 

Unsere Vermieterin erwartet uns schon und übergibt uns die Schlüssel zu unserer Casa Rural, heute haben wir ein ganzes Haus für uns. Das heißt natürlich nochmal Einkaufen und selber Kochen, zum Abendessen werfen wir den Kamin an und besprechen bei ein paar Dosenbier den morgigen Tag.

Herr Müller weiß, wo's lang geht.

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