Freitag, 8. November 2019

Tag 18: "Manche Outdoor-Aktivitäten sollten verändert werden." (Zitat Google Translate)

Freundlicher Gruß von oben steht bevor...
Sonntag, 03.11.2019
18. Wandertag
Fuentes de Ebro nach Belchite
9h (inkl. Pausen) / 33km
527m rauf / 281m runter

Ich werde wach vom Knallen den Vorhangs, der vom Wind aus dem offenen Fenster gesogen wird. Draußen ist es noch dunkel, aber es weht schon ordentlich. Wenn's in der Altstadt mit ihren verwinkelten Straßen schon so windet, wie soll das erst draußen auf dem Feld werden? Aber das ist ein Problem für später, ich muß mich erstmal aus dem Bett prügeln. Auf mich wartet heute eine dicke Etappe, also versuche ich, noch vor 0800 Uhr auf der Straße zu sein, um das wenige Tageslicht möglichst gut auszunutzen. Dem freundlichen Zimmervermieter hatte ich gestern schon angedeutet, daß ich heute auf's Frühstück verzichte, weil ich früh weg bin.

Die Wettervorhersage orakelt so mezzomezzo wegen Regen, aber Wind! Wetterwarnung, Böen bis 70km/h. Den Fließtext dahinter kopiere ich mir in Google Translate: "Manche Outdoor-Aktivitäten sollten verändert werden." Hmtja. Eher nicht. I got places to be.

Also raus auf die Straßen, die am Sonntagmorgen erwartungsgemäß SEHR leer sind. Nur am Himmel droht schon giftgrau der erste Regenschauer, als ich gerade aus Fuentes de Ebro raus bin, kann ich die fetten Regenschleier über den nächsten Hügel ziehen sehen. Kurz danach habe ich heute Morgen zum zweiten Mal geduscht, innerhalb von wenigen Minuten bin ich auf die Knochen nass. Die Regentropfen kommen mit den Windböen im 45 Grad-Winkel oder gleich ganz waagerecht von rechts. Ein cleverer Wanderer hätte die Zeichen der Zeit erkannt und sich unter dem Fabrikdach, an dem ich vor 7 Minuten vorbeigekommen bin, mal für 20 Minuten untergestellt. Oder noch besser: Ein cleverer Wanderer hätte gefrühstückt (!) und wäre dann erst losgelaufen, das wären quasi zwei Fliegen mit einer Klappe gewesen. Für mich gilt das nicht, ich wollte mal wieder nur los und habe dabei nicht nachgedacht. Also laufe ich die nächste Stunde mit dem Gefühl einer nassen kalten Windel am Hintern und ärgere mich über mich selbst.

Oben: Das Antiguo Pueblo de Rodén.
Im nächsten Dorf gibt es was zu gucken: Rodén war früher mal ein typisches Dorf mit Kirche und allem auf einem Hügel. Im spanischen Bürgerkrieg zerstört, ist dort oben alles zu Ruinen verfallen, die Bewohner haben am Fuß des Hügels ein neues Dorf gebaut. Der Anblick der regengrauen eingefallenen Mauern passt hervorragend zu meiner aktuellen Laune. Nähere Besichtigung fällt wie immer aus, der Tag ist lang genug. Außerdem regnet's.

Langsam fange ich mich wieder, passend zum Wetter. Der starke Wind bläst irgendwann die Regenwolken weg und während ich am Rand eines schlammigen Tals auf Mediana de Aragón  zulaufe, sehe ich die ersten Sonnenstrahlen und alles wird gut.


Beim letzten der Fotos oben beschließe ich, daß der Tag trotz des ätzenden Starts vielleicht doch noch nicht ganz verloren ist und binde mir die Stiefel neu, um mir Mut zu machen. In Mediana de Aragón ist kein Mensch auf der Straße zu sehen, bis ich auf den kleinen Dorfplatz einbiege: Da sind sie alle und bevölkern hartnäckig die einzige Bar. Ich setze ein frohes Gesicht auf und ziehe weiter, hinter dem Dorf geht es hoch in die Berge - naja, eher ein paar Hügelketten als richtige Berge. Aber die letzten Tage waren derart flach, daß ich mich schon fast freue, mal wieder ein bißchen rauf- oder runterzukraxeln.

Die nächsten zwei Stunden laufe ich durch eine einsame Hügellandschaft, jeder mögliche Quadratmeter dazwischen wurde terrassiert und gepflügt, sieht nach kleinteiligem Getreideanbau aus. Dabei ist dem Bauer ab und zu auch der eigentliche Weg unter den Pflug gekommen, aber das macht an dieser Stelle nix. Die Gegend ist leer und einsam und erinnert mich in ihrer wüstenähnlichen  Kargheit ein wenig an Utah oder New Mexico.


Nach dem Aufstieg durch die Hügel kommt die Hochebene. Hier oben der Hocheben ist der Wind noch stärker als unten im Tal, aber das passt mir heute irgendwie genau richtig. Die Sonne knallt vom Himmel, ich wandere mit kurzer Hose, aber auch mit Jacke und Wollmütze und fühle mich pudelwohl. Meine Klamotten sind inzwischen trocken, mir ist nicht zu warm / nicht zu kalt und als Sahnehäubchen obendrauf muß ich mich dank des Windes heute nicht einmal über nervige Fliegen oder Mücken beschweren. Weil der Weg heute so lang ist, habe ich gestern Abend außerdem noch viel zuckrigen Proviant eingekauft, um mich bei Laune zu halten: Statt nur Wasser gibt's heute auch Fanta Limón, statt trocken Brot von vorgestern gibt's Blätterteigteilchen mit Tomatenfüllung. Mir geht's also blendend.

Ich treffe einen alten Schäfer, der seine Herde neben einem verfallenen Corral grasen läßt. (Ein Corral ist eine Art umzäunte Feldscheune, wie sie hier zuhauf als Ruinen in der Landschaft herumstehen. Früher waren dort die Tiere untergebracht; manchmal wohnten die Bauern oder Hirten dort auch; auf Deutsch könnte man es am ehesten mit einem Einsiedlerhof vergleichen.) Er hat mich wahrscheinlich schon eine Stunde lang beobachten können, wie ich auf der baumlosen Ebene auf ihn zugewandert bin, also ist er neugierig geworden und steigt aus seinem Auto aus. Die Verständigung ist schwer, ich verstehe nochmal viel weniger spanische Brocken als sonst. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, daß uns beiden langweilig genug ist, daß wir Lust haben, dem anderen was zu erzählen. Ganz egal, ob's ankommt. Und nachdem das für beide ok zu sein scheint, stehen wir in der Sonne, plaudern und gestikulieren, er erzählt mir irgendwas über den verfallenen Corral und ich was über meine Reise. Wir verabschieden uns mit Handschlag.

Die nächsten Stunden Weg gibt es nichts zu berichten, außer das ich durch eine stürmische Leere laufe. Eine Stunde geradeaus, dann halblinks, dann halbrechts. Ich kann Belchite, das Ziel der heutigen Etappe schon geschlagene 9km vor Ankunft sehen. Was für eine Folter, es sieht zum Greifen nah aus.


Kurz vor Schluß muß ich nochmal Pause machen und lege ich mich eine halbe Stunde ins Gras, um in den blauen Himmel zu schauen. Der Wind pfeift über mich hinweg und jault um die Drähte der Stromleitung nebenan herum, aber ich bin gut eingepackt und das Heulen trägt nur zur Stimmung bei.

Belchite empfängt mich erst mit Olivenhainen, dann darf ich die Parade der Schweinemastanlagen abnehmen. Der Ort selber ist relativ neu und offensichtlich auf dem Reißbrett entstanden: Wie schon Rodén wurde der alte Ort im Spätsommer 1937 in der Schlacht um Belchite zwischen den Republikanern und den Nationalisten unter Franco zerstört. Nach dem Bürgerkrieg wurde direkt daneben den alten Ort ein neues Belchite hingesetzt, die Ruinen liegen heute noch direkt nebenan.

Ich finde mein Hotel gleich neben der Kirche und dusche sehr lange und sehr heiß. Ich bin froh, daß ich die lange Etappe hinter mich gebracht habe und vor allem, daß ich mir morgen einen Pausentag gönnen werde. Außerdem gibt es einen weiteren Grund zur Freude: Morgen reist Monsieur Müller an, der ein paar Tage mitwandern wird. Er hat sich dazu leider eine sehr leere und karge Landschaft ausgesucht, aber das war seine Entscheidung. Ich freue mich jedenfalls auf Rumhängen morgen und Wandern zu zweit für den Rest der Woche.



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