Mittwoch, 6. November 2019

Tag 16: Immer schöööön die Nerven behalten...

Freitag, 01.11.2019
16. Wandertag
Villanueva de Gállego nach La Puebla de Alfindén
6h (inkl. Pausen) / 23km
186m rauf / 198m runter

Das Autobahnhotel war ein gutes Hotel, ich habe geschlafen wie ein Stein. Die Lage ist wirklich fies, die Tankstelle und die verlassenen Häuser gegenüber hatte ich gestern gar nicht wahrgenommen. Aber die Bar ist zum Frühstück gut gefüllt, das halbe Dorf scheint hier seinen Morgenkaffee zu nehmen (was ein gutes Zeichen ist). Ich werfe meine Zimmerkarte auf den Tresen, steige auf der Autobahnauffahrt über ein paar Leitplanken und bin los.

Ob hier noch jemand wohnt? Eher nicht...

Erstmal durch eine fiese Ecke, erst ein paar verlassene Häuser, im Straßengraben sammeln sich die weggeworfenen Altreifen, dann eine hingeklotzte Universität, die aussieht wie ein intergalaktisches Folterzentrum der Zukunft. Der Schienenbus von gestern zuckelt wieder an mir vorbei und ich überquere die Bahnlinie und mogele mich zwischen Bauernhöfen und Kleingewerbe weiter nach Osten. Viele der Wege, die in der Karte eingezeichnet sind, wurden hier offensichtlich mal eben zwangsprivatisiert und mit Zäunen und Toren eingepfercht. Prohibido el paso, camino particular und ähnlich unschöne Aufforderungen. Ich folge einfach dem losen Strom an Mountainbikern, der mir entgegen kommt (ist ja schließlich Feiertag und man hat Zeit) und finde so den richtigen Weg runter zum Fluß. Auf der anderen Seite liegt das Karthäuserkloster Cartuja Aula Dei, aber es gibt mal wieder keine Brücke, nur ein Stauwehr mit Dutzenden festhängenden Bäumen und lustigen würfelförmigen Steinen, die irgendwelche Riesen hier hingekippt haben. Also nix mit Besichtigen und Fotos.


Der Wind von gestern Nachmittag ist völlig verschwunden, statt dessen haben die Fliegen die Lufthoheit über die Felder wiedererlangt. Schon die letzten zwei Tage hatte ich immer einen ganzen Scharm davon um meinen Kopf herumschwirren, die Biester machen mich wahnsinnig. Aber so ein großer schwarzer Umriß (zumal mit Rucksack), unterwegs zwischen den Feldern, der sich auch noch bewegt, ist sicherlich tierisch anziehend. Ich versuche die Ruhe zu bewahren.


Die Mountainbikemagistrale am Fluß entlang hat den großen Vorteil, daß sie mich ohne weitere Zäune oder Tore bis zur neuen Fußgängerbrücke über den Rio Gállego führt. Auf der anderen Seite des Flusses geht dann leider das Murks-Labyrinth los. Eine landwirtschaftlicher Großbetrieb hat weite Teile der Felder mit Zäunen und Stacheldraht abgetrennt, prohibido el paso und so. Bei der Vorrecherche hatte ich einen kleinen Durchschlupf gefunden, wo man halblegal einen Bewässerungskanal auf einem Steg überqueren könnte, um rüber zur Straße abzukürzen -- aber als ich vor dem Steg stehe, ist natürlich der Bauer direkt dahinter auf dem Feld zu Gange und säht. So frech bin ich nun doch nicht, also ziehe ich statt dessen maulend weiter nach Süden, wo ich gar nicht hin will. Als Dankeschön muß ich dann an der zischenden und stinkenden Papierfabrik vorbei, die Häuser in Riech- und Hörweite sind schon lange an ihrem Nachbarn verzweifelt, was man auch den Bewohnen ansieht.


Der Umweg ist Murks, ich muß jetzt eine halbe Stunde neben der Hauptstraße gehen. Die Alternative zurück zur geplanten Route, die ich mir rausgesucht habe, ist auch Murks, weil sie zwei Felder weiter im Nichts endet, ich mir beim Sprung über einen Bewässerungskanal mal wieder fast die Knie breche, immer noch 20 Fliegen mit mir mitwandern wollen undaußerdemistmirzuwarm (for the  record: 24 Grad), die Sonne, brennend heißer Würstensand, muhmäh, ich krieg Sonnenbrand, Manno! Vor lauter Maulen marschiere ich schnurstracks durch Villamayor de Gállego durch, obwohl es hier Bars, Getränke, Sehenswürdigkeiten gegeben hätte, aber ich kann mich erst wieder fangen, als ich nach dem letzten Sportplatz auf den staubigen Feldern stehe und in der Ferne Zaragoza sehen kann.

Immer schön die Nerven behalten.

Plötzlich sind die Felder und die Landschaft um mich herum knockentrocken und trostlos (tjaha, keine Bewässerung mehr, wa?!) und ich bin boshaftig zufrieden. Also erstmal Pause machen, einen Liter Wasser weggluckern, ein bißchen Snacken, ein bißchen Lesen. Und dann geht's auch wieder.





La Puebla de Alfindén betrete ich durch die Hintertür, wie ich das am liebsten mache. Hinter einem Hügel taucht plötzlich eine Recyclinganlage auf, die mich allerdings nicht überrascht, weil die letzten 10 Minuten schon in jedem Busch und an jedem Ast eine dahergeflogene Plastiktüte hing. Dann noch die ehemalige Bauschutt-Deponie und die Autobahn. Immer schöööön die Nerven behalten.


Das Dorf riecht nach nicht abgelaufenem Gulli und Waschmittel, aber mein Ärger will sich schon gar nicht mehr aufbäumen. Ich biege in die Bar meines Hotels für heute Abend ein, um meinen Zimmerschlüssel abzuholen. Im Augenwinkel sehe ich dabei den gut bestückten Tapas-Tresen, was zu nichts anderem führt, als ich daß ich erst in aller Ruhe in die Badewanne gehe und dann den Nachmittag mit einem großen Bier aus einem tiefgekühlten Krug und ein paar Leckereien aus der Auslage feiere. Jeglicher Ärger des Tages ist natürlich inzwischen vollkommen vergeben und vergessen.

Draußen hat sich der Himmel inzwischen zusammengeschrumpelt und quetscht ein paar kleine Regentropfen raus. Der Wetterbericht sagt für die nächsten beiden Tage eher mehr Regen voraus, was zu den zwei ziemlich langen Etappen passt, die mich morgen und übermorgen erwarten. Aber das ist morgen, jetzt gerade zählt erstmal nur die Vorfreude aufs Abendessen.

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