Freitag, 15. November 2019

Tag 24: Vorboten des Winters

Bedrohlicher Start, aber es klarte schnell auf.
Sonntag, 10.11.2019
24. Wandertag
Aguaviva nach Zorita del Maestrazgo
4,5h (keine Pause) / 16km
606m rauf / 454m runter

Bingo. Noch vor dem Frühstück überbringt mir meine Wirtin Claudia die gute Nachricht, daß sie gestern Abend in dem etwas versteckten Hostal-Restaurante in Zorita doch noch jemanden erreicht hat und ja, es gibt ein Zimmer. (Nicht, daß ich am Ende der Welt an einem Sonntagabend zu 100% ausgebuchte Betten erwartet hätte - viel fragwürdiger war, ob der Laden überhaupt existiert...) Allerdings: Von 1500 bis 1800 Uhr geschlossen. Ich stehe also vor der Wahl, ob ich heute ordentlich Gas gebe und vorher ankomme oder riskiere, am Ende der Tour noch 1 oder 2 Stunden bis kurz nach Sonnenuntergang vor verschlossenen Türen zu stehen. Draußen ist es kalt und windig, also zerbreche ich mir nicht lange den Kopf, stelle mir die Zielkoordinaten geistig auf 1430 Uhr ein und gebe Hackengas.

Ein Wohn-UFO zwischen spanischen Standardhäusern...
Das passt ganz gut zum heutigen Tag, für den ich zwei verschiedene Varianten zur Auswahl habe. Die kürzere Etappe hat nur 16km, einmal quer über die Berge - das sollte locker bis zum frühen Nachmittag zu schaffen sein.

Gleich hinter Aguaviva geht's dann den Hang hoch, nach 20 Minuten darf ich auf einen kleinen Geröllpfad abbiegen, der sich durch die Barrancos nach oben schraubt. Bald kann ich kilometerweit sehen und dabei die Strecke von gestern Nachmittag nochmal komplett mit dem Auge Revue passieren lassen. Über mir kreisen die Adler / Geier (ich weiß es immer noch nicht sicher) im eisigen Wind, der von Westen heranfegt. Letzte Nacht muß der Wind noch viel stärker gewesen sein; ich habe heute morgen erstmal die Stühle auf meinem Balkon aufgeräumt, die der Sturm durcheinandergeworfen hatte.


Als ich oben ankomme, tauche ich ein in eine Landschaft aus kleinen Hügeln und Wald. Nur das Dröhnen eines Traktors auf dem Feld da unten links erinnert noch an Zivilisation (naja, vielleicht auch noch die Hochspannungsleitungen). Statt dessen höre ich - passend zum Sonntag - die ersten Jäger rumballern. Die neongrelle Mütze (Spitzname: "Schieß mich nicht über den Haufen!") habe ich wegen des kalten Windes sowieso schon auf, trotzdem schaffe ich es ernsthaft, mich ungesehen an dem Nachwuchsjäger vorbeizuschleichen, der gerade seine kleine Allradkiste abgestellt hat und losmarschieren will. Zum Triumph setze ich mich kurz auf den Betonsockel des Hochspannungsmastes, genieße die Aussicht und ein paar Kekse und merke dann, daß mir im Wind viel zu schnell viel zu kalt wird. Flott weiter, Genosse!


Kurz vor dem Abstieg überquere ich die Grenze zwischen Aragón und der Autonomen Gemeinschaft Valencia, durch die mich der größte Teil meines Weges für die nächsten Wochen führen wird. Ich habe das Gefühl, daß sich die Sprache hier in der Region schon in den letzten Tagen in Richtung des Katalanischen verschoben hat. Ich mache das ganz egoistisch und egozentrisch daran fest, daß ich hier in der Gegend die Einheimischen plötzlich deutlich schlechter verstehe als vor zwei Wochen.

Aber hier im Wald ist sowieso keiner. Ich wandere allein die Hügelketten entlang, unten im Tal lasse ich dann endlich auch den Wind hinter mir und die Sonne kommt raus. Plötzlich fühlt sich alles wieder an wie ein goldener Herbsttag mit T-Shirt-Wetter und nicht ein 7-Grad-Tag mit pfeifendem Wind. Ich genieße die wärmenden Sonnenstrahlen auf meiner schwarzen Jacke und schlendere weiter durchs Tal, vorbei an den Ruinen eines Bauernhofs, bis ich an der Santuari de la Mare de Déu de la Balma (was für ein Titel...) wieder auf Leben treffe. Sogar touristisches Leben. Eine Höhlenkirche, in die Felsen hoch über dem Fluß gebaut. Eigentlich schwer auf meiner Liste des "Will ich sehen!", auch wenn ich es sonst mit Sightseeing manchmal nicht so habe. Aber wo ich jetzt hier so stehe, die zahlreichen Autos und den Ausflugsverkehr sehe und dann noch auf die Uhr gucke, schenke ich mir die Besichtigung großzügig.

Mitte/Mitte: La Balma.


Auf der Landstraße steht der örtliche Subaru-Club am Straßenrand, zwischen biederen Familienkombis und diversen Subaru BRZ ist alles vertreten und mein Autoherz freut sich. Die Jungs sind weniger begeistert und grüßen nur verhalten fröhlich zurück, eine der Kisten hat wohl die Hufe hochgerissen, da kommt gerade der Abschleppwagen. Das dürfte - an einem Sonntag hier oben den Bergen - sicherlich kein günstiges Vergnügen werden...

Ich hatte mir für die letzte Stunde Weg heute eigentlich vorgenommen, die Straße zu nehmen, aber mit Blick auf den Verkehr besinne ich mich schnell eines Besseren. Gut so, denn ich hätte eine schicke Etappe durch das breite Schotterbett des Rio Bergantes verpaßt. Der Pfad führt am Anfang noch durch sonnenbeschienene herbstbunte Wäldchen und biegt dann in das ca. 100m breite schneeweiße Band aus Schotter ein. Auf der Karte sah das noch so aus, als müßte man den Fluß mehrfach furten, ich sah mich im Geiste schon bis zur Hüfte im Wasser waten. Aber es kam anders.

Der Rio Bergantes. Heute eine klägliche Pfütze.
Oben auf dem Hügel lauert schon Zorita...
...und Regenwolken...
...die dieses trockene Flußbett aber sicher auch nicht füllen werden.
Einmal über ein paar Steine gehüpft, einem halb festgefahrenen Traktorweg durch den Schotter gefolgt und auf der anderen Seite des Tals weiter auf einem ganz langweiligen Feldweg, das heutige Ziel Zorita schon in Sichtweite. Hinter dem Dorf auf dem Hügel ziehen bedrohliche Regenwolken auf, aber das ist jetzt auf der Zielgeraden auch schon egal. Mich überholt ein großartiger alter goldener Range Rover (eigentlich ja ne Dreckskarre, wie ich Anfang des Jahres gelernt habe; aber in GOLD!) vollbesetzt mit freundlich grüßenden Jägern.



Zorita ist so steil auf den Hügel gebaut, daß innerhalb des Dorfes kaum Autos fahren können, geschweige denn Platz zum Parken haben. Die einzigen ebenen Quadratmeter finden sich auf dem großen Platz vor der Kirche, die für dieses Dorf recht groß geraten scheint. Direkt daneben ist das Gebäude mit meinem Hostal-Restaurante für heute Abend, im Erdgeschoß gibt's einen kleinen Laden (der natürlich am Sonntag geschlossen hat) und ich brauche einen Moment, um zu checken, daß die Bar im 1. Stock ist. Ich sage mein Sprüchlein von wegen IchhättegerneinZimmer auf, die junge Dame hinter der Bar erkennt in mir den Deutschen, wegen dem gestern Abend jemand angerufen hat. Alle Puzzleteile passen zusammen, ich kriege ein Zimmer, werfe nur schnell den Rucksack ab und werfe mich für ein Bier und ein Bocadillo wieder an die Bar, bevor es 1500 Uhr ist und der Laden dichtmacht.

Dabei fällt mir auf, daß es hier ganz schön kalt ist... Aber vielleicht muß ich auch erstmal nur aus den verschwitzten Klamotten raus. Ich freue mich nach dem kalten Tag tierisch auf eine heiße Dusche. Das Wasser bleibt allerdings kalt. Man merkt, daß das Warmwasser ein ganz klein bißchen wärmer als eiskalt wird, mehr aber auch nicht. Egal. Ich hab keine Lust, rumzumaulen. Also schnell halbkalt duschen, das härtet ab, und auf ein Nachmittagsnickerchen ins Bett. Wenigstens höre ich hoffnungsvoll das Wasser in der Heizung gluckern, nachdem ich den Thermostat ein bißchen manipuliert habe. Aber es bleibt kalt, also packe ich meinen Schlafsack aus, ziehe mir noch ein paar Sachen über, mummele mich ein und ignoriere erstmal, daß es hier drinnen gerade mal so 12 Grad hat. Die Bar hat jetzt sowieso dicht und die Wirtsfamilie hat Familienzeit, also will ich nicht nerven. Aber die Heizung bleibt den Nachmittag über genauso kalt wie die Dusche.

Am frühen Abend gehe ich wieder rüber in die Bar, auf ein Bier und die Hoffnung auf ein bißchen Wärme. Bier gibt es, Wärme nicht. Unter dem plärrenden Fernseher gähnt ein großer Ofen vor sich hin, der Wirt wirft alle halbe Stunde mal eine kleine Ecke Holz hinein, aber auch erst nachdem die Senioren an den Tischen nachdrücklich mit ihren Stöcken auf den Ofen eingedroschen und Rabatz gemacht haben. Für die Temperatur im Raum hilft das auch nix, scheint ein abgekartetes Spiel zu sein. Der Wirt steht währenddessen im T-Shirt hinter der Bar, wie um seinen Gästen zu zeigen, daß es hier doch gar nicht kalt sei, aber bei 7 Grad draußen und nicht viel mehr drinnen kommt halt keine Freude auf. Auch beim Abendessen nicht. Aber ich habe immer noch keine Lust, mich zu beschweren und schlüpfe statt dessen wieder in meinen Schlafsack.

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