Freitag, 22. November 2019

Tag 28: Durch Schluchten und Almen.

Culla. Am Sonntagmorgen.
Sonntag, 17.11.2019
28. Wandertag
Fuentes en Segures nach Vistabella del Maestrat
9,25h (inkl. Pausen) / 25km
1.206m rauf / 929m runter

Ich war ein Arsch gestern Abend und habe auf die Frage, wann ich denn morgen frühstücken wolle, frech geantwortet: A las ocho. Das ist ne flotte Stunde früher als am Sonntag vorgesehen, aber als ich um 0800 Uhr runterkomme, sitzt der Seniorchef schon hinter seinem Tresen und hat mir das Frühstück gerichtet, das ich natürlich wieder im gähnend leeren Speisesaal zu mir nehme. Die Rollos sind alle  noch unten, nur in der Blickrichtung meines Frühstücksgedecks ist eins offen und läßt etwas Helligkeit herein. Ich bedanke mich artig für die frühe Uhrzeit (die es mir immerhin ermöglicht, das gesamte Tageslicht auszunutzen) und schaufele alles in mich hinein, was der Frühstücksteller so hergibt. Heute wartet ein langer Wandertag auf mich und meine Vorräte sind - naja - an einigen wichtigen Stellen durchaus ausbaufähig.

Die erste gute Stunde bis Culla ist es morgendlich trüb, die Sonne irrlichtert noch irgendwo da hinten im Dunst herum und mir ist k-k-k-kalt. Den Aufstieg zur Ermita oberhalb von Fuentes en Segures schenke ich mir natürlich, da isses bestimmt noch windiger. Danke, nein. Ich bin froh, als ich kurz vor Culla in einen alten Eichenwald eintauche, den ich mir mit einer Kuhherde teile. Windschatten - und die Sonne kommt auch langsam raus.

So gehört sich's. Sonne zum Frühstück.
Als ich in Culla kurz vor der Hauptstraße gerade versuche, meinen keuchenden Atem zu beruhigen, erspähe ich unerwartet Bewegung im Dorf. Eine Motorradgruppe rangiert gerade die Maschinen, um - - Mooooment, da war doch nicht etwa Licht in der Panaderia, an der ich eben vorbeigelaufen bin? Oh yes, es gibt trotz Sonntag frisches Brot und als Bonus noch "Empanadas de queso", die als Garnitur mit einer karamellisierten Zucker-Zimt-Mischung locken. Dos, por favor! Ich bin plötzlich der glücklichste Wanderer der Welt.

Die Freude ist ganz meinerseits, Ladies!
Dann schnell raus aus Culla, vorbei an einer Kaskade aus Schweinemastbetrieben, die sich auf der windabgewandten Seite des Dorfes am Hang staffeln. Rein in die Schlucht, die mich über die nächsten Stunden ein paar hundert Höhenmeter nach unten führen wird - und auf der anderen Seite das Ganze wieder rauf. Ich mache auf halbem Wege nach unten kurz Pause zwischen den Ruinen eines alten Bergbauernhofes, zu dem die alten Steinterrassen ringsum gehört haben. In der alten Zisterne ist noch Wasser, das Haupthaus ist noch intakt, die Räume gespenstisch leer. Ich habe allerdings nur Augen und Sinn für Teigtaschen. Oh yeah! (Ich muß gerade an meine Frankreichtour vor ein paar Jahren denken. Damals waren es die Törtchen, mit denen fast jede Boulangerie/Pâtisserie mein Herz erfreute. In Spanien sind es eindeutig die Empanadas...)


Unten auf dem Grund der Schlucht des Rio Monleón ist es sonnig und vergleichsweise warm (10 Grad?). Kein Wind. Alles ganz still. Weit und breit kein Mensch. Ich widerstehe kurz dem Impuls, mir wieder die kurzen Hosen anzuziehen, durchquere das schneeweiß gewaschene trockene Flußbett und mache mich an den harten Aufstieg. Nichts ist für mich frustrierender, als Höhenmeter, die ich gerade eben vernichtet habe, sofort wieder hochklettern zu müssen. Aber geht ja nicht anders. Nach einer großzügigen Stunde Aufstieg bin ich oben und belohne mich nochmal mit einer ausgiebigen Mittagspause auf einer quietschgrünen Almwiese, in der Sonne.

Auf der anderen Seite der Schlucht. Aufstieg geschafft.
Den Rest des Tages geht es auf Schotterpisten weiter, die restlichen Stunden werden also etwas leichter. Nach oben geht es allerdings immer noch... Beim Aufstieg zur Ermita de San Bartolomé de Boi trete ich fast auf eine junge Treppennatter, die reglos auf dem Weg liegt. Natürlich erschrecke ich mich, wie meine eigene Mutter es tun würde. Ich stupse die Schlange vorsichtig mit dem Wanderstock an, züngelt noch, lebt noch. Ist ihr aber wahrscheinlich zu kalt, hat vielleicht den richtigen Moment für den Beginn des Winterschlafs verpasst... Später lese ich, daß Treppennattern ungiftig sind, dafür aber recht beißfreudig. Gut, daß sie mich in Frieden gelassen hat.


Mit einem Blick auf die Uhr bekomme ich das Gefühl, daß der Tag heute etwas länger dauern wird, als ich mir das gewünscht hatte. Meine Unterkunft heute Abend in Vistabella hatte ich mit meinem stotternden Spanisch antelefoniert und irgendwie war alles ok, aber der Vermieter erzählte noch irgendwas von einer Hochzeit?, was ich nicht richtig verstanden habe?, also gebe ich mir Mühe, ungefähr zur vereinbarten Zeit anzukommen. Nicht, daß ich heute Abend vor verschlossenen Türen stehe...


Also Vollgas bergauf in Richtung Vistabella. Ich sehe den ganzen Tag keinen Menschen, dafür immer wieder spanische Steinböcke, die mit ihren lauten Warnpfiffen nicht nur ihre Artgenossen, sondern auch mich aufmerksam machen. Nebenbei demonstrieren mir die Tiere auch mal wieder, wie mies der "Digitalzoom" meiner Handykamera ist...

Ein paar Kilometer Schotterpiste, dann über einen Sattel und plötzlich stehe ich auf einer sturmumtosten Hochebene, die sich im Rücken von Vistabella entlangzieht. Ein Regenschauer erwischt mich und zum ersten Mal seit langer Zeit ziehe ich meinem Rucksack die Regenhülle über.

Vistabella, kurz vor Sonnenuntergang.
Rechtzeitig mit dem letzten Licht reite ich in Vistabella del Maestrat ein. Gegenüber der Kirche sehe ich Licht in einem kleinen Tabakladen, und - oh Wunder, die Zweite - er hat auch am Sonntagabend offen. Als ich den Laden betrete, bleibt mir erstmal die Spucke weg. In dem winzigen Raum mit vielleicht 25qm Grundfläche ist jeder Quadratmeter Wand vier Meter hoch mit Waren zugestellt, oben verläuft noch eine Galerie, links und rechts lehnen Leitern, um auch die oberen Regale erreichen zu können. Von Gemüse über Hundehalsbänder, Wollmützen, Getränke, Lebensmittel und Messer gibt es alles, was man sich nur vorstellen kann. Hinter dem Tresen steht ein alter Mann, der wahrscheinlich schon auf die 90 zugeht und rechnet dem Kunden vor mir mit der ihm eigenen Geschwindigkeit den Einkauf per Hand auf einem Blatt Papier zusammen. Allein das Herausgeben des Wechselgeldes braucht ca. 4 Minuten. Umso besser, dann kann ich noch länger gucken. Und nein, natürlich habe ich mich nicht getraut, den Laden einfach so zu fotografieren... (Ich ärgere mich immer noch.)

Meine Unterkunft für heute ist ein Glücksgriff. Ich hatte einfach halbblind was im Internet gesucht und ein paar Casas Rurales abtelefoniert. Hier treffe ich auf richtig freundliche Leute und ein tolles Abendessen (mit Nachschlag!). Nach dem Essen falle ich sofort ins Bett, der Tag war lang und anstrengend. Aber klasse.

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