Auch Vistabella hat morgens alle Schotten dicht... |
29. Wandertag
Vistabella del Maestrat nach Villahermosa del Rio
7,25h (gebummelt) / 21km
560m rauf / 1.088m runter
Mein Zimmervermieter Javier hat nach dem Frühstück noch seine Englischkenntnisse ausgepackt und wir sind beim Plaudern hängengeblieben, daher komme ich heute etwas später vom Fleck als gedacht. So gegen 1000 Uhr stehe ich auf der Straße, nachdem ich mich langwierig verabschiedet habe. Hier muß ich irgendwann nochmal hin. Das alte Haus aus dem 17. Jahrhundert war zu schön und die modernen Vermieter zu nett, als daß man hier nur eine Nacht verbringt und dann nie wiederkommt.
Draußen wieder strahlender Sonnenschein und Wind, knackige -2 Grad. Ich schneie noch schnell in der örtlichen Bäckerei rein, erbeute Brot und Empanadas mit Tomaten- und Spinatfüllung. Ein Plausch mit der Bäckersfrau und dem nächsten Kunden (der mit seinen Französischkenntnissen den Gesprächsumfang ungemein erweitert). Allen, denen ich heute erzähle, daß ich nach Villahermosa wandern will, scheinen genau zu wissen, was ich meine und nicken wissend: "Ah, el Carbo." Ich weiß noch nicht genau, was gemeint ist, aber ich vermute, sie meinen die eindrucksvolle Schlucht, durch die ich die zweite Hälfte des Tages hinunter nach Villahermosa absteigen werde.
Der bestimmende Gipfel: Penyagolosa (1.813m) |
Neugierig mache ich mich auf dem Weg raus in die Hügel. Vistabella hat zum Abschied am Rand des Dorfes noch Picknickbänke aufgestellt, daneben einen kleinen "Land Art"-Park mit Skulpturen verschiedener Künstler. Hält mich gerade alles nicht auf, ich muß dringend in den Wald und aus dem Wind raus. Die erste Stunde laufe ich auf den Star des heutigen Tages zu - den zweithöchsten aber eindrucksvollsten Berg der Comunitat Valenciana: Der Penyagolosa. Drauf zu, dran vorbei, und weiter grob Richtung Süden.
Eine Stunde später bin ich plötzlich im Harz, steinige Hänge unter Nadelbäumen, breite Forstwege und Waldparkplätze. Nachgeschmack des Trubels, der hier im Sommer am Fuße des Berges herrschen muß. Auf den Park- und Campingplätzen herrscht jetzt natürlich gähnende Leere, am Santuari Sant Joan de Penyagolosa stehen genau zwei Autos - Moment, eines fährt gerade weg - ein Auto. Hier könnten hunderte Menschen gleichzeitig Grillen und Picknicken. Nur gut, daß ich im November hier bin.
Wenn ich wollte, könnte ich von hier in ca. 2h den Gipfel des Penyagolosa erklimmen, aber das ist Stoff für einen anderen Urlaub. Ich begnüge mich mit dem Sattel hinter Sant Joan, von dort kann ich erstmals in die kilometerlange Schlucht blicken, deren Grund sich irgendwo da unten zwischen Windungen und Biegungen im Grünblau verläuft. Das passende Schild "Carbo" lässt dann auch mich wissend nicken: Gemeint ist der Fluß Rio Carbo, das halbverlassene Dorf Masia de Carbo, der Wasserfall Cascada de Carbo und die Schlucht an sich.
Der Abstieg ist stellenweile fast alpin, oft steil, aber nie heikel. Auf den gegenüberliegenden Berghängen entdecke ich immer wieder alte Almen zwischen Wiesen, deren kräftiges Grün in der Sonne leuchtet. Die Häuser wurden alle aus Steinen gebaut, die an Ort und Stelle gefunden wurden - im Unterschied zu vielen anderen Bergbauernhöfen hier in der Region sieht es aber so aus, als würden sie zumindest im Sommer weiter als Ferienhäuser genutzt werden. Da ist noch Leben drin.
An der Weggabelung zum Wasserfall des Rio Carbo lasse ich meinen Rucksack einfach im Gras liegen und steige leichtfüßig zur Cascada hinab. Was für ein krasses Gefühl, ohne dieses Gewicht auf dem Rücken förmlich über die Steine zu schweben. Und natürlich liegt der Rucksack auch eine halbe Stunde später bei meiner Rückkehr unberührt im Gras - wer soll hier schon vorbeikommen? Ich habe die ganzen letzten zwei Wochen keinen einzigen Wanderer getroffen.
Der Abstieg führt mich immer weiter runter ins Tal, bis sich die Hänge zu einer schmalen Schlucht verengen. Der Weg führt zeitweise neben, durch oder im Rio Carbo - kein Problem in dieser trockenen Phase, aber nach schweren Regenfällen wäre dieser Abschnitt des GR7 unpassierbar. Oder nur durch große Umwege zu umgehen. Aber das ficht mich genauso wenig an, wie die sommerliche Vorstellung, eine Badepause in den natürlichen Pools des Rio Carbo zu machen, an denen ich beim Abstieg immer wieder vorbeikomme. Wie gesagt, das ist ein anderer Urlaub.
Villahermosa lugt aus dem schattigen Tal hervor... |
Immerhin sollte ich erwähnen, daß es hier "unten" doch deutlich wärmer ist, als ich es aus den letzten Tagen gewöhnt bin. Villahermosa del Rio liegt nur auf ca. 700m Meereshöhe, im Vergleich zu den 1.200m Meereshöhe, auf denen ich die letzten Tage unterwegs war, merkt man den Temperaturunterschied doch deutlich. Nicht so sehr, daß man sich abends noch raussetzen wollte, aber wenigstens klappern nicht sofort nach Sonnenuntergang die Zähne.
Ich durchquere Villahermosa im letzten Licht des Tages einmal von Norden nach Süden, finde am Ortsausgang mein Hostal und werfe mich in die Badewanne. Später nach Sonnenuntergang ziehe ich in einem Anflug von Vernunft nochmal hoch ins Dorf, um für morgen einzukaufen. Was du heute kannst besorgen... In der Panaderia gibt es außer den letzten Empanadas auch noch Anis-Plätzchen, die ich mir zum Probieren einpacke. Ansonsten wirkt Villahermosa seltsam tot, ich sehe überall nur dunkle und leere Fenster. Nur unten in meiner Bar ist noch Betrieb, ein amerikanisches Ehepaar ist offensichtlich mit ihrem spanischen Guide auf Jagd-Reise. Ich lausche ein bißchen ihrer englischen Konversation, höre aber zu viel patriotisch-dumpfen Müll und verliere zu schnell das Interesse, um mich einzumischen. Zwei Bier, Abendessen, fertig.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen