Samstag, 16. November 2019

Tag 25: Halbzeit!

Morgens wiedergefunden: Der goldene Range Rover.
Montag, 11.11.2019
25. Wandertag
Zorita de Maestrazgo nach Morella
7,25h (inkl. Pausen) / 23km
902m rauf / 575m runter

Immer noch kalt. Bevor ich mich aus dem Schlafsack schäle, nehme ich mir vor, daß ich heute irgendwann Schuberts "Winterreise" hören muß, zumindest falls meine Laune weiter mit den Temperaturen sinkt. Passt irgendwie auf mehreren Ebenen zusammen: "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus..."

Kaltes Frühstück schon in den muffigen Wanderklamotten von gestern, damit ich gleich los kann; der Laden unten ist auch trostlos, das Brot ist von Samstag und erinnert an Beton, nur mit einer Dose Oliven in der Hand verlasse ich das kalte Haus. Und sofort verbiete ich mir weiteres Mosern. Ändert ja eh nix an der Realität.


Der Flußpfad von gestern holt mich an der alten Steinbrücke unterhalb von Zorita ab und verhindert, daß ich mir die nächsten Kilometer die Landstraße mit den 40-Tonnern teilen muß. Statt dessen bummele ich am Fluß entlang (wenn überhaupt mal Wasser zu sehen ist; der Rio Bergantes scheint auch gerne mal in seinem eigenen Schotterbett zu versickern), auf einem schmalen Pfad, manchmal reckt sich das Gestrüpp links und rechts zu mir herüber und zerrt an meinem Rucksack. Hier ist schon lange keiner mehr gegangen.


Auf der anderen Talseite liegen bizarre Felsen in der Sonne, die seltsam ausgehölt und eingekerbt sind - wahrscheinlich ausgewaschen von den Fluten der letzten Jahrhunderte. Dazu passt, daß der Fluß eine Stunde später ein praktisches Beispiel parat hat. Auch wenn er im November nur aus ein paar Pfützen besteht: Der kann wirklich richtig was. Weiter vorne ist der Weg bei einem der letzten Hochwasser weggespült worden, also nicht nur der Weg sondern auch die ganze Stein- und Betonkonstruktion darunter. Das waren mindestens 3-4 Meter oberhalb des aktuellen Flußbettes. Schluck...


Noch ne Stunde später verlasse ich kurz hinter dem Dorf Ortells den Rio Bergantes und nehme mir den Aufstieg hoch in die Hügel vor. Nach der letzten Schweinemastanlage mache ich Pause und setze mich in die Sonne, kurz darauf kommt ein Geländewagen die Piste herunter geholpert, die Fahrerin ist schon fast vorbei, sieht mich im letzten Moment doch noch und macht eine Vollbremsung. Woher, wohin, Adios.

Oben in den Hügeln treffe ich auf die Überreste der letzten paar hundert Jahre Landwirtschaft, die Täler sind mühsam mit Steinterrassen abgesteckt, der Wald hat sich aber schon längst wieder seinen Teil zurückgeholt. Mindestens die letzten 30 Jahre über ist hier nichts mehr angebaut worden.


Relativ unvermittelt spuckt mich der Wald neben dem Dorf Xiva de Morella wieder aus, ich genieße die Aussicht und bummele ein bißchen durch das sehr stille Dorf. Fast nur schöne alte Häuser, eine Bar, ein Brunnen, eine Kirche, fertig. Xiva gefällt mir außerordentlich gut, ich fülle meine Wasserflaschen an der köstlichen (weil ungechlorten) Quelle kurz vor der uralten Steinbrücke und stehe dann noch ein bißchen vor der örtlichen Informationstafel herum, auf der die lokalen Wanderwege eingezeichnet sind.


Dabei wird mir klar, daß ich mir aus irgendeinem Grund (den ich um's Verrecken nicht mehr nachvollziehen kann) als Rest-Route bis Morella die Straße vorgenommen hatte. Hä? Nur noch Asphalt bis zum Schluß? Was ist denn DA während der Planung in mich gefahren...

Die Informationstafel annonciert einen Wanderweg über den nächsten Bergrücken hinweg nach Morella, etwas länger, ein paar hundert Höhenmeter mehr, aber egal -- das mach ich. Fit genug fühle ich mich heute noch und so richtig Lust auf Straße habe ich sowieso nicht. Und - soviel sei vorweggenommen - der kleine Umweg lohnt sich. Auf uralten Caminos wandere ich durch die Landschaft, der Wind braust wie immer von hinten heran, ich stöbere durch die Ruine eines alten Bergbauernhofs und finde noch erstaunlich viele Gegenstände, die die letzten Bewohner zurückgelassen haben. Oben noch ein Stück Aufstieg durch den Wald, dann stehe ich im Wind und auf dem Grat und kann das erste Mal Morella sehen.


Morella ist mit wichtig, denn es fühlt sich an wie Halbzeit, nicht nur weil ich hier tatsächlich ungefähr die Hälfte der Tagesetappen geschafft habe. In Morella treffe ich auch endlich wieder auf den Fernwanderweg GR7, auf dem ich letztes Jahr in Andalusien gestartet bin. Die Etappen der letzten Wochen waren im Wesentlichen selbstgestrickt, jetzt sehe ich quasi das rote Band des GR7 vor mir, wie es sich durch die Berge schlängelt und mich in ein paar Wochen zum Ziel bringt.

Außerdem sieht Morella großartig aus. Eine uralte Stadt, zu Füßen eines Castillos gelegen, das strategisch auf einem riesigen Felsblock gebaut wurde. Eine Stadt, die immer noch eine intakte Stadtmauer hat und in deren Inneren man sich immer noch wie aus der Zeit genommen fühlt. Während der Planung bin ich auf den Blog von John Hayes gestoßen, der vor 8 oder 9 Jahren den GR7 gewandert ist, er hatte Morella als Juwel in der Krone der spanischen "hilltop towns" bezeichnet. Bei meinem Blick von hier oben auf Morella glaube ich das sofort.


Der Abstieg führt mich durch Rinderland, auf den Hängen zwischen den Caminos und den schulterhohen Steinmauern grasen Kühe. Sie sind nicht begeistert, daß da ein Wanderer durch will, aber was soll's. Ich schlängele mich runter zu den Resten des Aquädukts, das Morella seit dem 14. Jahrhundert mit Wasser versorgt, schmunzele über die lokale/politische Meinungsverschiedenheit bzgl. der richtigen Schreibweise von Xiva de Morella und schlüpfe durch das Stadttor in die Altstadt.

Ich finde mein Hotel nicht sofort und irre statt dessen noch ein bißchen durch die Stadt, aber das tut heute überhaupt nicht weh. Weil Morella auch aus der Nähe großartig aussieht. Fotos hebe ich mir für morgen auf, ich hab heute schon genug geknipst. In dieser Stadt mache ich morgen auf jeden Fall einen Tag Pause.

Allerdings: Noch während ich unter der heißen Dusche stehe, merke ich, daß da eine nette Erkältung mit Höchstgeschwindigkeit herangaloppiert kommt. Der Rotz läuft mir in Strömen aus der Nase, so daß es mir beim Abendessen schon richtig peinlich ist, den Nebentischen meinen Gesundheitszustand zuzumuten. Als ich wieder auf Stube gehe, merke ich auch, wie mir der Kopf zuschwillt -- ich denke mal, daß ich hier mehr als nur einen Pausentag machen muß. Aber wir sehen morgen weiter.

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